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Dahn im Mai 2000


Im Kinosaal erlebten italienische Kriegsgefangene ein Drama –
Das Kriegsgefangenenlager Nr. 1502 in Dahn



Dahn. Das Kriegsgefangenenlager Nr. 1502 in Dahn befand sich in der Alten Schule, heute Kreisgalerie, Schulstraße 14. Lagerhalter war die Gemeinde Dahn. Es gab zwei Außenstellen: Auf der Reichenbach wurden für das Sägewerk Thomasser etwa 10 russische Kriegsgefangene und beim Bärenbrunnerhof für den Bärenbrunnerhof und die Bärenbrunnermühle 6 - 8 französische Kriegsgefangene ausgeliehen.
Nach der Landung der Alliierten in der Normandie wurden vorübergehend zwei weitere Lager eingerichtet: Im Kinosaal Peter Zwick (heute Getränkeabteilung Euromarkt), Pirmasenser Straße 58 und auf dem Gelände der Firma Cronauer (heute Pennymarkt), Pirmasenser Straße 62. Hier waren in der Zeit von August bis November 1944 italienische Gefangene (Badoglios) für Schanzarbeiten untergebracht. Sie mußten Panzergräben ausheben und Panzersperren bauen. Nach Angaben des Zeitzeugen T. Z. soll es sich um 1000 - 2000 Mann gehandelt haben. In den ersten drei Tagen nach ihrer Ankunft bekamen die italienischen Gefangenen in dem Chaos nichts zu essen. Bewacht wurden sie von älteren NS-Männern. Zeitzeugen berichten, dass ein Wachmann aus Dahn italienische Gefangene geschlagen und drangsaliert hat.

Das Lager Nr. 1502 in Dahn befand sich im Erdgeschoß der Alten Schule. Hier war auch ein Raum für die Wachmänner. An den Fenstern waren von außen Eisengitter angebracht. Die Kommandantur befand sich über dem Eingang im 1. Stock.
Die ersten Kriegsgefangenen in der Alten Schule waren Franzosen, die nach dem Frankreichfeldzug im Sommer 1940 hier untergebracht wurden. Von 1942 bis 1945 war das Lager durchschnittlich mit 20 - 30 russischen Kriegsgefangenen belegt. Nach Aussagen der Zeitzeugin J. F. gab es in der Alten Schule auch italienische Gefangene.
1943 waren in der Alten Schule neben russischen Kriegsgefangenen der NSV-Kindergarten, zwei Familien (Rückwanderer) und die Familie W. untergebracht. Wegen der vielen Parteien im Gebäude, insbesondere des NSV-Kindergartens, konnte der geforderten Einzäunung des alten Schulhauses mit Stacheldraht nicht nachgekommen werden. Die Gemeindeverwaltung Dahn erklärte sich grundsätzlich bereit, die Haftung für die sichere Unterbringung der sowjetrussischen Kriegsgefangenen zu übernehmen. Später wurde das Gelände um die Alte Schule mit Stacheldraht umzäunt.
Die Küche befand sich entweder im Erdgeschoß links des Eingangs oder im Keller. Unterhalb des Westgiebels, Richtung heutiger Park, stand ein Holzschuppen bzw. eine Art Baracke, worin Totenwagen und Feuerwehrgeräte untergebracht waren. Im Sommer wurde neben dieser Baracke im Freien gekocht.
Aus den monatlichen Abrechnungen geht hervor, dass die französischen Kriegsgefangenen hauptsächlich auf dem Bärenbrunnerhof und der Bärenbrunnermühle eingesetzt waren und etwa 10 russische Kriegsgefangene auf der Reichenbach beim Sägewerk Thomasser. Das Gros der russischen Kriegsgefangenen wurde vorwiegend bei Arbeiten im Dahner Gemeindewald eingesetzt. In mehreren Eingaben wehrte sich der Gemeindeförster F. gegenüber dem Bürgermeister K., russische Kriegsgefangene aus dem Waldkommando für Landwirte und zum Kartoffelkäferspritzen abzustellen. Er verlangte die sofortige Rückkehr der russischen Kriegsgefangenen zum Holzeinschlag im Gemeindewald, der einen wenig erfreulichen Zustand aufweise. Der Gemeindeförster weist den Dahner Bürgermeister darauf hin, dass für eine Änderung des Einsatzes der russischen Kriegsgefangenen ausschließlich das Arbeitsamt zuständig sei. Anträge auf Neuzuweisung von Kriegsgefangenen sollen die Landwirte zukünftig beim Arbeitsamt stellen.

Die Kriegsgefangenen wurden in Gruppen oder einzeln an Landwirte, Kleinbetriebe, Handwerker, Geschäfte und Privatleute ausgeliehen. Auf der Reichenbach und auf dem Bärenbrunnerhof verblieben sie in den dortigen Außenlagern. Einzelne Kriegsgefangene wurden für längere Zeit an Bauern ausgeliehen, die einen kriegsbedingten Arbeitskräftebedarf nachweisen konnten. Diese Kriegsgefangenen wurden morgens im Lager abgeholt und abends wieder zurückgebracht. Die Vorschrift, dass Kriegsgefangene an einem gesonderten Tisch zu essen hatten, ist von den meisten Bauern nicht beachtet worden. Viele Zeitzeugen berichten, dass es den russischen Kriegsgefangenen bei den Bauern gut ging. Für einen russischen Kriegsgefangenen hatten die Landwirte im Monat 35,-- Reichsmark an die Gemeindekasse Dahn zu zahlen.
Der Zeitzeuge R.S. berichtet: Der russische Kriegsgefangene Ivan, ca. 25 Jahre alt, wurde uns als Hilfe für die Landwirtschaft und zur kriegswichtigen Grubenholzabfuhr zugeteilt. Ivan kam ausgehungert und abgemagert bei uns an. Er hat trotz Verbotes bei uns am Tisch gegessen; nach wenigen Wochen hatte er sich erholt. Er war willig, fleißig und hilfsbereit, litt aber unter Asthma. Ivan war sehr auf Hygiene und Sauberkeit bedacht. So hat er sich am Wochenende im Waschhaus heißes Wasser bereitet und im Sträuselschopp hinter großen Sträuseltüchern versteckt in der Waschbütte gebadet. Während des Badens hat er immer russische Lieder gesungen, einige der Melodien kann ich heute noch intonieren. Nach dem Attentat am 20. Juli 1944 überraschte Ivan unsere Familie mit der Feststellung: Hitler nicht kaputt. Ich, damals ein Junge von elf Jahren, brachte Ivan abends ins Gefangenenlager (Alte Schule) zurück. Als die Front näher rückte, wurden die Russen zurückgeführt. Ivan und meine Familie haben unter Tränen Abschied genommen.

Privatleute konnten sich - besonders am Wochenende - Kriegsgefangene über die Kommandantur mieten. Diese wurden morgens im Lager abgeholt und abends wieder zurückgebracht. Ebenso wie die Bauern haben auch Privatleute die Vorschrift, dass Kriegsgefangene nicht mit Ariern am gleichen Tisch essen dürfen, großzügig übergangen. Dennoch muß festgehalten werden, dass in Ausnahmefällen der Erlaß befolgt wurde. Privatleute hatten an Werktagen und im Winter einen Tagessatz von 3,-- Reichsmark, an Sonntagen und im Sommer einen Tagessatz von 2,50 Reichsmark an die Dahner Gemeindekasse zu entrichten.
Bei den Privatleuten ging es meist um kleinere Abrechnungsbeträge. Von Betrieben, die mehrere Kriegsgefangene ausgeliehen hatten, waren die monatlich eingeforderten Beträge für damalige Verhältnisse von erheblichem Umfang. So haben größere Ausleiher mehrfach auf die Reduzierung des nicht korrekt errechneten Betrages durch die Gemeinde Dahn bestanden. Abrechnungen von Gefangenen, die für die Gemeinde Dahn gearbeitet haben, liegen nicht vor. Die Aktenlage läßt den Schluß zu, dass es sich für damalige Verhältnisse, auf vier Jahre hochgerechnet, um erhebliche Geldsummen gehandelt hat.
Bei den Kriegsgefangenen wurde buchstäblich um jeden Pfennig gefeilscht. Dies wird überdeutlich aus einem Schreiben der Kriegsgefangenen-Arbeits-Kommando-Abrechungsstelle Pirmasens vom 4. Februar 1942 an das Bürgermeisteramt Dahn. In dem Schreiben wird das Bürgermeisteramt angemahnt, dass es für Bekleidung und Lagermittel bei den einzelnen Kriegsgefangenen nur einen Tag abgezogen habe, obwohl mehrere Tage (26?) hätten berechnet werden müssen. Die Abzüge betragen für Bekleidung 0,09 RM und für Lagermittel 0,01 RM. Die zuviel bezahlten Nettobeträge sind bei den Kriegsgefangenen einzuziehen und die neue Auszahlungslisten sofort der Abrechnungsstelle zuzusenden. Die von der Abrechnungsstelle in roter Tinte eingetragenen Zahlen sind als richtig zu betrachten. Es ging ganz trivial ums Geld.
Wie aus den penibel geführten monatlichen Abrechnungslisten hervorgeht, haben Landwirtschaft, Betriebe und Bevölkerung von der Möglichkeit, Kriegsgefangene und Zivilarbeiter/Ostarbeiter einzusetzen, reichlich Gebrauch gemacht.
Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass ohne den Einsatz von Kriegsgefangenen, Zivilarbeitern/Ostarbeitern, Zwangsarbeitern ab 1942 das Wirtschaftsleben auch in unserem Raum nicht mehr funktioniert hätte.

Außer den Kriegsgefangenen waren in Dahn auch Zivilarbeiter/Ostarbeiter bei den Bauern eingesetzt. 1942 werden für Dahn 5 ukrainische Zivilarbeiter/Ostarbeiter genannt. Zur Kenntlichmachung ausländischer Arbeiter hat die Gemeinde Dahn im Juli 1944 beim Landrat in Pirmasens 10 Abzeichen mit Aufdruck (P) = Polen und 50 Abzeichen (Ost) = Ostarbeiter bestellt. Mit Schreiben vom 7. September 1944 wird dem Landrat mitgeteilt, dass Dahn für Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen ukrainischen Volkstums 45 und für Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen russischen Volkstums 12 Volkstumsabzeichen benötige. Pro Person waren 3 Volkstumsabzeichen vorgeschrieben. Über die Zahl der Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter/Ostarbeiter, die während des 2. Weltkrieges in Dahn waren, gibt das Dahner Bürgermeisteramt im Dezember 1945 für die Nachforschungen über Zivil- und Militärangehörige der Vereinten Nationen folgende Auskunft: 2 Amerikaner, 14 Franzosen, 4 Italiener, 7 Jugoslawen, 1 Luxemburger, 16 Polen, 54 Russen und Ukrainer, 24 Ostarbeiter, 1 Unbekannter, insgesamt 123 Personen. Bei den Nationalitäten wird nicht konsequent zwischen Russen und Ukrainer; Ukrainer und Polen unterschieden. Die Angaben sind unvollkommen. So werden die italienischen Gefangenen, die im Herbst 1944 zu Schanzarbeiten in Dahn eingesetzt waren, nicht erwähnt.
Über das Alter der Zivilarbeiter/Ostarbeiter macht die Statistik folgende Angaben. Geburtsjahr der Zivilarbeiter: *1881, *1885, *1899, *1895 (3x), *1896, *1897, *1898 (6x), *1899. Die Altersstatistik läßt vermuten, dass die wenigsten Zivilarbeiter/Ostarbeiter freiwillig nach Deutschland gegangen sind. Auf dem Friedhof am Vogelsberg, Gewanne Straßenäcker, Plan-Nr. 4683, heute der neuere, untere Teil des Friedhofs, sind während des Krieges 24 Kriegsgefangene und Zivilarbeiter/Ostarbeiter bestattet worden. 1950/51 wurden die Toten exhumiert. Nach Auflösung des Lagers werden in einem Inventar vom 17.03.1945 u. a. folgende Gegenstände akribisch aufgeführt: 1 Spind, 1 Tisch, 3 Stühle, 2 Bettgestelle, 2 Matratzen, 2 Kopfpolster, 2 Bettlaken, 6 Wolldecken, 4 Beleuchtungskörper, 1 Kohlenkasten, 1 Feuerhaken, 1 Eimer, 2 Schaufeln, 1 Besen, 1 Waschschüssel, 1 Gewehrständer, 5 Tische, 16 Stühle, 2 Schemel, 5 Bänke, 1 Regal, 13 Bettstellen doppelt, 26 Strohsäcke, 50 Wolldecken (34 gut, 16 schlecht), 13 Waschschüsseln, 2 Kochkessel, 2 Kochtöpfe, 1 Pfanne, 25 Essnäpfe, 25 Teller, 1 Messer, 23 Tassen, 3 Eimer.
Mit dem Rückzug der deutschen Truppen kamen deutsche Soldaten in die Alte Schule. Nach dem Einmarsch der Amerikaner am 21. März 1945 in Dahn wurden in der Alten Schule für kurze Zeit deutsche Kriegsgefangene untergebracht.

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