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Dahn im Juni 2000


Mehrzahl der zwangsverpflichteten Arbeiter aus der Ukraine –
Das Eisenbahnlager PS-Nord/Biebermühle



Die Ausführungen zur 10. Folge: „Das Eisenbahnlager Biebermühle“ stützen sich im Wesentlichen auf Tagebuchaufzeichnungen des Bahnmeisters Robert Val. Müller, die er 1973 in Kaiserslautern im Selbstverlag veröffentlicht hat.
Das Arbeitslager der Bahnmeisterei Pirmasens-Nord wurde 1941/42 eingerichtet und unterstand der Deutschen Reichsbahn. Es befand sich neben dem Dulag, rechts der B 270, in Richtung Biebermühle, heutiges Umspannwerk der Pfalzwerke.
In diesem Lager waren 1941 etwa 25 französische Kriegsgefangene eingesetzt. Es waren meistens Kaufleute, Angestellte, Lehrer, Studenten und Musiker, arbeitsame Menschen, die gleiche Lebensmittelrationen wie deutsche Arbeiter erhielten. Den französischen Kriegsgefangenen folgten zwangsverpflichtete polnische Jugendliche im Alter von 14 - 16 Jahren, die für die schwere Gleisarbeit zu schwach und daher untauglich waren. Danach kamen italienische Militärinternierte (IMI’s) ins Lager, die sich als Drückeberger und Faulpelze entpuppten. Von 1943 bis 1945 waren fleißige Zivilarbeiter/Ostarbeiter aus Rußland/Ukraine eingesetzt. Altgediente NS-Kämpfer, stramme Parteigenossen, die der SA oder der SS angehörten, standen dem Lager vor. Nach einer Kurzausbildung durch die DAF (Deutsche-Arbeits-Front) und Gestapo (Geheime Staatspolizei) wurden sie auf die russischen/ukrainischen Arbeitskräfte losgelassen.
Die Lagerführer waren zwar linientreue NS-Männer, orientierten sich aber bei ihrer Amtsführung mehr am Eigennutz als an Gesetz und Moral. Einer hatte sich wegen unreeller Buch- und Kassenführung, Lebensmittelunterschlagung, Veruntreuung von Habseligkeiten der Lagerinsassen zu verantworten. Ein anderer bekam 3 Jahre Gefängnis nach § 175, weil er sich an jugendlichen Lagerinsassen vergangen hatte. In 2 ½ Jahren hat etwa ein halbes Dutzend dieser Burschen den Posten des Lagerführers innegehabt. Parteipolitische Zuverlässigkeit, arbeitsscheues Verhalten und unlautere Absicht dürften im Wesentlichen die Voraussetzungen gewesen sein, um im Eisenbahnerlager PS-Nord Lagerführer zu werden. Der Bahnmeister, der für den reibungslosen Arbeitsablauf verantwortlich war, hatte mit den NS-Lagerführern mehr Ärger und Sorge als mit seinen 300 Russen/Ukrainern.
Das Lager war mit einem 3 Meter hohen doppelten Stacheldrahtzaun umgeben. Ursprünglich war das Lager für russische Kriegsgefangene gedacht. Für Zivilarbeiter/Ostarbeiter war nur eine gewöhnliche Maschendrahteinfriedung vorgeschrieben. Die Menschen waren in beheizbaren Baracken mit einigen Wasserzapfstellen einigermaßen wohnlich untergebracht. Innerhalb des geräumigen Lagergeländes, das sich am Waldrand hinzog, konnten sich die Insassen frei bewegen. Die Bewachung erfolgte durch Männer der Wach- und Schließgesellschaft.

Von allen ausländischen Arbeitskräften, die im Lager eingesetzt waren, standen neben den französischen Kriegsgefangenen die russischen/ukrainischen Zivilarbeiter/Ostarbeiter leistungsmäßig an der Spitze. Die Mehrzahl der Zivilarbeiter/Ostarbeiter kam aus der Ukraine. Von Beruf waren sie Kolchosbauer, Land- oder Fabrikarbeiter, Handwerker, Traktoristen, LKW-Fahrer, anfänglich etwa 200 Männer, Frauen und Kinder; später wuchs die Zahl auf etwa 300 Personen an. Unter ihnen befanden sich viele Familien mit Kindern. Die russische/ukrainische Krankenpflegerin unterrichtete während ihrer Freizeit im Lager etwa 20 - 25 Kinder im Alter von 6 - 13 Jahren. Auch alte und arbeitsunfähige Leute waren ins Lager gekommen, darunter Männer und Frauen von über 60 Jahren. Der leicht gehbehinderte Russe Andrej führte zusammen mit ein paar alten Frauen die Küche. Für die Arbeiter draußen an den Gleisen, sie hatten die Streckenabschnitte in die Richtungen Landau, Pirmasens, Zweibrücken und Kaiserslautern zu betreuen, wurde das Essen in großen Thermoskübeln im Packwagen des Zuges zur Arbeitsstelle befördert. Wenn der Arbeitsplatz in der Nähe lag, brachten Russenkinder die Kübel im Handwagen an Ort und Stelle. Einmal wurden die hungrigen Kinder bei Rieschweiler erwischt, als sie sich aus den Kübeln ihre leeren Bäuche vollschlugen. Der Koch Andrej bekam alle drei Tage seine Zuteilung entsprechend der Kopfzahl abgewogen und musste damit auskommen. Klappte es einmal nicht, dann hatten dies die Zivilarbeiter/Ostarbeiter unter sich auszumachen. Ab 1943 reichte die gesetzlich verordnete Lebensmittelzuteilung für die russischen/ukrainischen Zivilarbeiter/Ostarbeiter bei weiten nicht aus. Sie mussten hungern. Dennoch ging es ihnen um einiges besser als ihren Leidensgenossen im Nachbarlager (Dulag). Manche kochten noch nebenher, was sie mitgebracht oder heimlich erbettelt hatten. Betteln war streng verboten! Wer dreimal von der Polizei beim Betteln erwischt wurde, kam auf einige Monate in ein Erziehungslager, wo es nach zuverlässiger Kunde nicht gut hergegangen sein soll. Verschiedene Lagerinsassen mussten es am eigenen Leibe erfahren, rückfällig ist keiner geworden. An arbeitsfreien Samstagnachmittagen durften die Lagerinsassen mit Ausnahmegenehmigung in der Landwirtschaft der Nachbardörfer (Sickingerhöhe) mithelfen. Auch in der Erntezeit wurde ihnen Sonntagseinsatz erlaubt. Von den Bauern brachten sie Kartoffeln, Getreide oder etwas Mehl mit. Das Getreide zerrieben sie zwischen Steinen zu Schrot, buken daraus am Lagerfeuer ein fladenförmiges Brot oder kochten sich einen dicken Brei (Kascha). Im Lager gab es Geburten und Todesfälle. Eine russische/ukrainische Krankenpflegerin tat in zwei Krankenstuben Dienst. Schwerkranke kamen ins Ostarbeiterrevier des danebengelegenen Durchgangslagers oder wurden ins Russenkrankenhaus nach Waldfischbach gebracht. Der dort tätige russische Arzt galt als äußerst geschickter Chirurg und ist bei Unfällen auch ins Eisenbahnlager gekommen. Die Toten wurden auf dem Russenfriedhof oberhalb des Dulag begraben.
Die Lagerdolmetscherin, Vera Matuchina, vom Bahnmeister Müller befragt, wie sie nach Deutschland gekommen sei, gab folgenden Bericht: Wir lagerten, Tausende von Flüchtlingen, einige Tage in der Nähe von Kertsch (Ukraine, Halbinsel Krim) auf freiem Feld, als braun uniformierte Männer (Werber des Reichsarbeitsministers Sauckel über Lautsprecher uns zum Arbeitseinsatz nach Deutschland aufforderten. Viele schöne Dinge wurden uns in Aussicht gestellt. So z.B. guter Lohn, ausreichendes Essen, bessere Kleidung, angemessene Freizeit, Kino und vieles mehr - und wer es wünschte, könne später unter bestimmten Voraussetzungen sogar ein Siedlungshäuschen mit Garten bekommen! Trotz dieser Verlockungen waren nur wenige für den Arbeitseinsatz in Deutschland bereit. Die große Mehrzahl wollte in der Heimat bleiben. Nach wenigen Tagen ist die Sache jedoch ernst geworden. Angeblich sollen Deutsche ermordet worden sein. Dafür wurden wir verantwortlich gemacht und einige unserer Landsleute öffentlich hingerichtet. Daraufhin haben wir uns alle zum Arbeiten in Deutschland bereit erklärt. Die Menschen wurden als Zwangsarbeiter in Viehwaggons nach PS-Nord verfrachtet.

Einen Tag nach der Befreiung durch die Amerikaner, am 21. März 1945, verschwanden alle aus dem Lager in den Wäldern um Johanniskreuz. Tage später kamen mehr Menschen ins Lager zurück als zuvor Insassen da waren. Sie erschienen in neuen Kleidern beim Bahnmeister Müller mit den Worten „Chef gut, Chef bleiben!“ Ferner boten sie im kostenlos Mangelwaren wie Fleisch, Wein, Rauchwaren etc. an, die sie irgendwo organisiert hatten. Gegenüber zwei US-Offizieren entlastete der ehemalige Zwangsarbeiter Iwan Wonjarka seinen Chef mit der Qualifikation „Chef immer gut!“ Nach Wochen kamen ehemalige Zwangsarbeiter, sie waren inzwischen durch die Amerikaner kaserniert, aus ihren Verstecken mit dem Wunsch, künftig wieder bei der Bahnmeisterei PS-Nord arbeiten zu wollen (!). Sie wussten um ihre baldige Rückführung in die Sowjetunion und ahnten, daß sie unter Stalin erneut zu Arbeitsbataillonen zusammengestellt und zur Strafe für ihren erzwungenen Arbeitseinsatz in Deutschland zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt würden.
Die Amerikaner zogen die russischen Kriegsgefangenen, Zivilarbeiter/Ostarbeiter und Zwangsarbeiter nach und nach zusammen und überstellten sie in Sondertransporten der Sowjetunion.

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