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Der Artikel wurde am 11.04.2016 veröffentlicht.


Tiefes Leid und großherzige Versöhnung



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Arbeitskreis Judentum im Wasgau

© Arbeitskreis Judentum im Wasgau, Otmar Weber, Schillerstrasse 10b, 66994 Dahn



Textmanuskript (zur historisch-wissenschaftlichen Verwendung):

Tiefes Leid und großherzige Versöhnung, Beerdigung von Karl-Heinz Levy



Der letzte Dahner Jude, Karl-Heinz Levy, ist am 13. Dezember 2015 in Florida/USA gestorben. Am Mittwoch, 13. April 2016 um 14.00 Uhr, findet auf dem jüdischen Friedhof Busenberg seine Beisetzung statt. Es ist der ausdrückliche Wunsch des Verstorbenen, dass er und seine Frau Johanna auf dem jüdischen Friedhof Busenberg bei seinen Vorfahren ihre letzte Ruhe finden. Schon im Mai 2000 haben beide die Grabstelle, den Grabstein und dessen Beschriftung festgelegt. Der Grabstein hat die Inschrift: LEVY Karl-Heinz 1921 – 2015 und Johanna geb. Cohen 1918 – 2001. Die Levitenkanne auf dem Stein ist das Symbol dafür, dass der hier Bestattete ein Abkömmling des Stammes Levi ist. Die Leviten haben den Priestern vor dem Segen die Hände gewaschen, daher ist ihr Symbol der Krug. Die Urne seiner Frau Johanna wurde am 12. Mai 2011 an diesem Platz beigesetzt.

Karl-Heinz Levy, geboren am 19.02.1921 in Dahn, Weißenburgerstraße 2, besuchte die ersten vier Klassen der jüdischen Schule in Dahn. 1932 wechselte er nach Frankfurt/M., wo er das Philanthropin, eine Schule der jüdischen Gemeinde Frankfurt/M., besuchte. 1935 kehrte er nach Dahn zurück und absolvierte bei Robert Mayer in Pirmasens, Charlottenstraße 10, eine Elektrikerlehre, die er im Oktober 1938 erfolgreich abschloss. Anfang November 1938 zog Karl-Heinz Levy wieder nach Frankfurt/M. und arbeitete hier als Installateur.
Nach der Reichspogromnacht wurde er am 16.11.1938 in Frankfurt/M. verhaftet und für drei Monate in das KZ Dachau gebracht. Hier traf er seinen Vater Julius, Onkel Ludwig und Bekannte aus den Wasgaudörfern. Im KZ Dachau erlebte er außer körperlichen auch psychische Qualen. Eines Tages sprach ihn sein Vater auf sein schlechtes Aussehen an. Karl-Heinz erklärte, dass er sich an die religiösen Vorschriften halte und nur Koscheres esse. Daraufhin befahl ihm sein Vater alles zu essen, was auf den Tisch kommt, denn er müsse überleben, das sei das Wichtigste. Die Religion sei für das Leben da und nicht umgekehrt. Ab diesem Zeitpunkt aß Karl-Heinz Blut- und Leberwurst, die den jüdischen Gefangenen zum Abendessen vorgesetzt wurde und damals noch unberührt zurückging, weil der Genuss von Schweinefleisch streng verboten war. Es war eine der vielen NS-Schikanen, um die Juden zu demütigen. Der Rat des Vaters erwies sich für Karl-Heinz als richtig, denn nach drei Monaten verließ er das KZ Dachau mit fast dem gleichen Gewicht, mit dem er eingeliefert worden war. Als er sich nach der Entlassung bei der Polizeibehörde in Dahn meldete, wurde ihm der Aufenthalt im Elternhaus mit der Begründung verboten, dass schon genug Judde in Dahn sind. Eine Arbeitsgenehmigung wurde ihm ebenfalls verweigert.

Ab diesem Zeitpunkt setzte Karl-Heinz alle Hebel in Bewegung, um aus Deutschland herauszukommen. Dafür benötigte er eine Adresse im Ausland und die geforderten Devisen. Er hatte Glück bei einem englischen Komitee in Berlin, das sich für die Auswanderung jüdischer Kinder und Jugendlicher einsetzte. Im Mai 1939 gelangte Karl-Heinz mit dem letzten Kindertransport nach England. Hier kam er zunächst in ein Transitlager. Nach Kriegsausbruch wurde er als „feindlicher Deutscher“ eingestuft und in ein englisches Internierungslager gebracht. Von hier aus ging es zusammen mit deutschen Kriegsgefangenen 1940 per Schiff nach Canada. Während die älteren deutschen Kriegsgefangenen über ihren kurzen Kriegseinsatz nicht gerade unglücklich waren, sang eine junge deutsche U-Bootbesatzung, die unterwegs aufgefischt wurde, unentwegt auf dem Achterdeck das Kampflied: “Wir fahren gegen Engeland.“ Kaum in Canada angekommen ging es 1941 wieder nach England zurück. Karl-Heinz wohnte in London und arbeitete in einem Rüstungsbetrieb, wo er seine spätere Frau Johanna kennenlernte. Im März 1942 haben Karl-Heinz und Johanna geheiratet. Ein Jahr später wurde ihr Sohn Peter geboren. Während des II. Weltkrieges hat Karl-Heinz in London die Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe und später die V-2 Angriffe erlebt.

Im Jahre 1947 wanderte Karl-Heinz mit seiner Familie in die USA aus. Er lebte in Brooklyn/New York. Dort arbeitete er als Ingenieur in der Elektrobranche. 1979 hat er erstmals wieder Dahn besucht. Seinem Heimatort blieb Karl-Heinz, trotz Leid und Vertreibung, ein Leben lang verbunden. Das selbstgemalte Bild vom Jungfernsprung in seiner New Yorker Wohnung erinnerte Karl-Heinz tagtäglich an unbeschwerte Kindheitstage in Dahn.
Vom furchtbaren Schicksal seiner Familie hat Karl-Heinz erst nach und nach erfahren. Am Ende des II. Weltkrieges hat Familie Levy sechs Holocaust-Opfer zu beklagen: Karl-Heinz Eltern, Julius und Elsa, sein Onkel Ludwig und seine Tanten Blüta und Helene wurden in Auschwitz ermordet. Sein jüngerer Bruder Helmut war über zwei Jahre in Auschwitz und ist 1945, wenige Tage vor seiner Befreiung, im KZ Mauthausen umgekommen. Nur Karl-Heinz und seine beiden Schwestern Rosel und Gertrud haben den Holocaust überlebt.
Mit dem Tod von Karl-Heinz Levy ist eine Ära zu Ende gegangen. Er ist der letzte in Dahn geborene Jude und seine Beerdigung wird wohl die letzte auf dem jüdischen Friedhof Busenberg sein. Was bleibt sind steinerne Zeugnisse: Friedhof, Synagoge und Mikwe (Rituelles Bad), die an eine über 200jährige jüdische Geschichte im Wasgau und deren schreckliches Ende erinnern.
Es bleibt aber auch die Erinnerung an den Menschen Karl-Heinz Levy, der trotz der Verbrechen, die seiner Familie widerfahren sind, die Versöhnung suchte und 1991 mit ausgestreckter Hand zum Heimattreffen nach Dahn gekommen ist.

© Arbeitskreis Judentum im Wasgau, Otmar Weber, Schillerstrasse 10b, 66994 Dahn