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Der Artikel wurde am 09. November 2019 veröffentlicht..


„Babbe, ich kum sofort häm“

Von Otmar Weber


Der 9. November ist ein Datum, an dem mehrere Ereignisse die deutsche Geschichte prägen. Dieses Jahr wird vor allem an den Fall der Mauer vor 30 Jahren erinnert. Immer im Blick bleibt der 9. November 1938, als Synagogen brannten. Doch auch der 9. November 1918 ist von großer Tragweite. Dies spiegelt sich zum Beispiel im Dahner Denkmal wieder.
Vor 85 Jahren, am 11. November 1934, wurde in Dahn das Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges feierlich eingeweiht. Das gewählte Datum an einem Sonntag nahe des 9. November war kein Zufall. Der 11. November 1934 zieht damit einen Bogen zurück bis zum 9. November 1918 – und lässt zugleich erahnen, auf welchem Boden sich später entwickeln konnte, was schließlich zum 9. November 1938 führte.


Der Kontext
Am 9. November 1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Heinrich Scheidemann in Berlin während der Novemberrevolution die Republik aus. Der Krieg war verloren, der Kaiser musste das Land verlassen und das Deutsche Reich wurde von einer Monarchie zur demokratischen Republik. Für rechte und deutschnationale Parteien war der der 9. November jedoch ein Tag der Schande. Von Anfang an bekämpften sie die verhasste Republik. Vertreter der Novemberrevolution und demokratische Politiker, die sie dafür hielten, wurden als Novemberverbrecher diffamiert. Verstärkt und unterstützt wurde diese Hetze durch die Dolchstoßlegende, eine von der OHL (Obersten Heeresleitung) in die Welt gesetzte Verschwörungstheorie. Sie besagt, dass das deutsche Heer im 1. Weltkrieg im Felde unbesiegt geblieben und habe erst durch „vaterlandslose“ Zivilisten aus der Heimat einen „Dolchstoß von hinten“ erhalten. Den Ausdruck November-Verbrecher verwendeten die Nationalsozialisten in ihren Hetzkampagnen im Sinne der Dolchstoßlegende und rechtfertigten damit Fememorde.
Der 9. November, bei den Nationalsozialisten ein Gedenktag für die Bewegung, soll an den gescheiterten Marsch auf die Feldherrnhalle vom 9. November 1923 erinnern. Er wurde schließlich am 1. März 1939 von Hitler zum staatlichen Feiertag erklärt. Aus dem „Tag der Schande“ sollte letztlich ein Tag der Helden werden.
In diesem Kontext ist auch die Einweihungsfeier des Ehrenmals am 11. November 1934 in Dahn zu sehen.
Die Namen von 61 Gefallenen waren auf den beiden Gedenktafeln des 1934 eingeweihten Denkmals zu lesen. Darunter befanden sich drei Dahner Juden: Siegmund Kullmann, Marktstraße 20/22, Albert Levy und Bruder Bernhard Levy, Grabenstraße 11.
Doch das Versprechen der damaligen Festredner, den gefallenen Helden ein ehrendes Gedenken zu wahren, galt offenbar nicht den drei jüdischen Gefallenen: Ihre Namen wurden bald darauf aus dem Denkmal herausgeschlagen, wie es vielerorts in Deutschland geschehen ist. Erst in den 1960er Jahren wurden ihre Namen wieder eingefügt.

Freiwillig in den Krieg
Dabei hatten sich die drei Dahner Juden wie viele andere freiwillig gemeldet. Siegmund Kullmann, Rechtpraktikant und Unteroffizier der Reserve, starb am 17. September 1914. Er befand sich vor Kriegsbeginn 1914 in den USA. Als er von der Kriegsgefahr und der Not seines Vaterlandes erfuhr, schrieb er seinem Vater auf Pfälzisch: „Babbe, ich kum sofort häm, um em Kaiser siche zu helfe.“ (Nachbarin Meta Serrand, geborene Rosenstiel). Siegmund Kullmann erreichte mit dem letzten Schiff Deutschland, meldete sich freiwillig und ist als einer der ersten Dahner gefallen.
Albert Levy ist nach Auskunft des Verbandes VdK im Dezember 1917 gefallen; weitere Informationen liegen nicht vor. Sein Bruder Bernhard Levy, Kaufmann, ist als Gefreiter des 3. Bayerischen Chevauleger-Regiments (Leichte Kavallerie) im Mai 1918 in Frankreich gefallen und auf dem deutschen Soldatenfriedhof Sapignies in Frankreich beerdigt.

Rückblick: Die Denkmaleinweihung im Spiegel der Zeit
Vorbemerkung: Der folgende Artikel über die Einweihung des Denkmals für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs basiert im Wesentlichen auf zwei Veröffentlichungen aus dem Pfälzischen Tageblatt vom November 1934, die ausführlich und in nationalem Pathos über die Einweihung des Denkmals berichten. Die Berichte wurden gekürzt und mit überleitenden Sätzen versehe. Aber der Sprachgebrauch der damaligen Zeit wurde belassen, um dem Leser das übersteigerte nationale Pathos aufzuzeigen, das letztendlich in die Katastrophe führte.
Vor 85 Jahren, am Sonntag 11. November 1934, wurde in Dahn das Denkmal für die Gefallenen des I. Weltkrieges feierlich eingeweiht. Schon am Vorabend wurde die Feier mit einem Fackelzug, Kanonensalut und der Aufstellung einer Wache am Ehrenmal eröffnet. Am Sonntagmorgen begann das Festprogramm um 6.30 Uhr mit dem Weckruf und wurde gegen 9.00 Uhr mit einem Festgottesdienst der Gläubigen beider Konfessionen fortgesetzt. Flatternde Fahnen an hohen Masten begrüßten die Gäste von Nah und Fern. Alle Kriegervereine des gesamten Bezirks, die Artillerie-, Marine- und Offiziersvereinigungen von Pirmasens und eine Reihe von Vereinen aus der Südpfalz hatten ihr Erscheinen zugesagt.
Am Ortseingang von Dahn, aus Richtung Hinterweidenthal, formierten sich gegen 13.30 Uhr die Reihen zum Festzug. NSDAP, SA, Arbeitsdienst, HJ, Motorsturm, NSKK, Kavalleristen hoch zu Pferd, Chevaulegers, Infanteristen in Friedensuniform, SA- Kapelle, Krieger- und Militärvereine mit ihren Fahnen, Ehrensektionen, gefolgt von der Geistlichkeit und den Gästen, marschierten unter den Klängen der Musik zum Denkmal.
Den Angehörigen der Gefallenen wurde eine besondere Ehre zuteil. Inmitten des Festzuges bildeten sie eine Ehrengruppe, die ein von BDM-Mädels getragener Kranzring umschloss. Emil Weibel, ein Sohn der Heimat, grüßte aus der Luft die toten Kameraden aus einem Flugzeug.
Nach dem Trauermarsch, eröffnete der Vorsitzende des Kriegervereins Dahn, die Feier. Zwei BDM-Mädels sprachen in Gedichtform das Totengedenken und berichteten Ergreifendes von den Toten. Der Gesangverein Dahn sang das Lied: „Deutschland, heiliger Name“.
Nun ergriff Hauptlehrer Kohler aus Pirmasens, Leutnant der Reserve, das Wort. Im Geiste führte er an diesem Tag , der zugleich Trauer- und Freudentag sei, die Zuhörer hinaus über die Schlachtfelder, vorbei an den Friedhöfen, vorbei an der Schar der schwarzen Kreuze. „Eher den Tod als die Knechtschaft ertragen“ sei der Wahlspruch der Gefallenen gewesen. Das neue Denkmal in Dahn soll Rufer sein, „uns zu sammeln fürs Vaterland, es soll Mahnmal für die Jugend und Ausdruck des völkischen Wollens sein.
Nach der Ansprache wurde das Denkmal enthüllt, die Ehrensalve krachte, hoch in den Lüften schwebte Emil Weibels Flugzeug. Der Geistliche Rat Wilhelm Hafen und der protestantische Pfarrer Fröhlich sprachen von dem gewaltigen Gottesglauben der Gefallenen, ihrem Heldentum und ihrer Aufopferung. „Gemäß dem Bibelwort, dass niemand eine größere Liebe hat, als der sein Leben hingibt für seine Freunde.“ Den Gefallenen zum Gedächtnis „erhebt sich dieses Denkmal, den Überlebenden zur Anerkennung, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung.“ Heiliger Ort solle dieses Denkmal sein. Die Gefallenen seien für Volk und Vaterland, für Freiheit und Ehre gestorben.
Nach den weihevollen, ergreifenden Worten der Geistlichen übergab der Vorsitzende des Kriegervereins, Wilhelm, das Denkmal der treuen Obhut der Gemeinde Dahn. Der erste Bürgermeister Sitzenstuhl übernahm das Denkmal „im Geiste der Toten“, wie es damals hieß. Das Deutschlandlied beschloss seine kurze, eindrucksvolle Rede./weo
Sturmbannführer der SA-Reserve, Frank aus Pirmasens, legte einen Kranz nieder. Ebenso die Gemeinde Dahn, das Offizierscorps Pirmasens, die Kriegervereine Dahn, Bundenthal, Busenberg, Fischbach, Hinterweidenthal und Rumbach, die NSDAP-Ortsgruppe, der SA-Sturm, die SA-Reserve, der Motorsturm und der Landgemeindeverband.
Mit einem Lied des Gesangvereins nahm die Feier ihr Ende. Die Gäste aus Nah und Fern blieben in kameradschaftlichen Beisammensein noch bis zum Abend in den Wirtschaften.

Die Abkürzungen:
NSDAP: Nationalsozialistische Arbeiterpartei
SA: Sturmabteilung = Paramilitärische Kampforganisation der NSDAP
NSKK: Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps
RAD: Reichsarbeitsdienst
HJ: Hitlerjugend (männlich)
BDM: Bund deutscher Mädels
Chevaulegers: Leichte Kavallerie
VdK: Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge



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