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Der Artikel wurde am 26.06.2018 veröffentlicht.


Gertrud Still-Levy gestorben

Von Otmar Weber



Mit Gertrud Still, geb. Levy, ist das letzte Mitglied der Familie Julius Levy, aus Dahn, Weißenburgerstraße 2, am 27. Mai 2018 in New York/USA gestorben. Die Urne wurde im Grab ihres Mannes Henry beigesetzt.

Gertrud Still, geb. Levy, geboren am 19.02.1924 in Dahn, Weißenburgerstraße 2, besuchte bis 1936 die Dahner Volkschule. Als antisemitische Äußerungen und Pöbeleien einiger Schülern immer verletzender wurden, gab Lehrer Sch. ihr den wohlgemeinten Rat zu Hause zu bleiben, was sie auch tat. Im Alltag bekam Gertrud NS-Schikanen zu spüren, so beim Broteinkauf, wenn sie warten musste, bis alle Arier bedient waren.
Am 10. November 1938, nachmittags ab 17.00 Uhr, begann in Dahn die Reichspogromnacht mit der Erstürmung des Levy-Hauses in der Weißenburgerstraße 2. Vater Julius war um diese Zeit in Pirmasens schon in Haft genommen und Bruder Karl-Heinz, der in Frankfurt/Main eine Schule besuchte, wurde von dort nach Dachau gebracht. Onkel Ludwig wurde geschlagen, während sich Gertrud unter ihrem Bett versteckte.
Von den sieben Personen, die sich während der Reichspogromnacht im Hause, Weißenburgerstraße 2, befanden, hat nur Gertrud den Holocaust überlebt. Vater Julius, Mutter Elsa, Bruder Helmut, Onkel Ludwig, Tante Blüta und Tante Helene Rosenstiel wurden deportiert und ermordet. Die Brüder Julius und Ludwig Levy waren deutsche Patrioten, Soldaten im 1. WK, beide schwer verwundet und mit dem EK2 ausgezeichnet worden. Geholfen hat es ihnen nicht.
Gertrud hat auch das schreckliche „Rohrwoogereignis“ miterlebt, das perfide Täter Familie Levy im September 1939 zwischen Dahn und Hinterweidenthal bereitet haben. Man brachte sie nachts auf einem LKW zum Rohrwoog, befahl ihnen abzusteigen und drohte, sie im See zu ertränken. Später brachte man sie nach Pirmasens. Gertrud war die einzige Überlebende und hat diese bösen Taten mündlich und schriftlich bezeugt.
Am 1. September 1939 musste Familie Levy Dahn verlassen und zog nach Mannheim. Von dort wurde sie am 22. Oktober 1940 in der sogenannten „Wagner-Bürckel-Aktion“ zusammen mit 6551 Badischen und Saar-Pfälzer Juden in das Internierungslager Gurs/Südfrankreich deportiert. 1941 brachte man Gertrud mit ihren Eltern in das Lager Rivesaltes/Mittelmeer, während ihr Bruder Helmut am Atlantikwall als Zwangsarbeiter eingesetzt wurde. Onkel Ludwig und die beiden Tanten wurden in das Internierungslager Noe´ gebracht. Alle Familienmitglieder – außer Gertrud - wurden 1942 über Drancy/Paris nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Gertrud, die am 10. Juli 1943 ebenfalls die CONVOCATION, die schriftliche Aufforderung zur Deportation erhalten hatte - das Originaldokument liegt dem Verfasser vor -, konnte gerettet werden. Sie wurde, wie viele andere jüdische Kinder, aus dem Lager herausgeschleust und im Frühjahr 1942 in einem jüdischen Pfadfinderheim für Mädchen unter einem anderen Namen untergebracht. Ab August 1942 brachte man sie wöchentlich in ein anderes Versteck, um sie vor der französischen Polizei zu schützen, die nach entflohenen Kindern suchte. Ende 1942 war Gertrud bei einer französischen Bauernfamilie versteckt als Dienstmädchen tätig. Durch Verrat ist sie wieder ins Camp Gurs gekommen. Eine jüdische Organisation hat Gertrud abermals aus dem Camp geholt und nach Chambery gebracht. Hier war sie bis 1944 als „Luxemburgerin“ unter falschem Namen wieder als Dienstmädchen eingesetzt.
Nach der Befreiung durch die Amerikaner im September 1944 kam Gertrud Levy zusammen mit ihrer Freundin Lore Katz aus Dahn nach Limoges. Hier blieben die Beiden bis zu ihrer Auswanderung in die USA im Januar 1947. Gertrud heiratete Henry Still, der in Frankreich im Widerstand aktiv war. Sie haben zwei Söhne und vier Enkelkinder. 1991 kamen Gertrud, Schwester Rosel und Bruder Karl-Heinz zum Heimattreffen nach Dahn. 1997 feierte Gertrud mit ihrem Mann Henry Goldene Hochzeit in Dahn. 2009 zeigte sie ihrem Sohn Jerry und zwei Enkelkindern ihre Geburtsstadt Dahn. Sie besuchten den jüdischen Friedhof in Busenberg, die Synagoge in Dahn und standen tief bewegt vor den Stolpersteinen, die für die sechs Holocaustopfer der Familie Julius Levy am früheren Wohnhaus, Weißenburgerstraße 2, heute Bushaltestelle, gesetzt wurden.
Gertrud, ihre Schwester Rosel und Bruder Karl-Heinz haben den Holocaust überlebt. Mit dem Tod von Gertrud Still, geborene Levy, ist eine Ära zu Ende gegangen. Sie war die letzte Zeitzeugin, die die Schrecken und das Unrecht der NS-Zeit erfahren hat und bezeugen konnte. Was jetzt noch bleibt, sind steinerne Zeugnisse: Friedhof, Synagoge und die Grundmauern des im November 2017 abgerissenen Mikwehaus in Busenberg (Rituelles Bad), die an eine über 200jährige jüdische Geschichte im Wasgau und deren schreckliches Ende erinnern.

Es bleibt aber auch die Erinnerung an eine großartige Frau, die trotz der Verbrechen, die ihrer Familie widerfahren sind, die Versöhnung suchte und 1991, 1997 und 2009 mit ausgestreckter Hand nach Dahn gekommen ist.


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