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Dahn im Dezember 2010


Pfarrer Hermann Nohr – Ein aufrechter Pfarrer in der Hitlerzeit

Von Otmar Weber



Pfarrer Hermann Nohr wurde am 29. September 1886 in Oberwürzbach geboren. Von 1923 bis 1936 war er Pfarrer in Obermohr. Schon ab 1934 hat der Zellenleiter der NSDAP Obermohr Pfarrer Nohr in übelster Form bei der Kreisleitung in Landstuhl denunziert. Am 9.Juli 1934 berichtet er an die Kreisleitung über eine Predigt Pfarrer Nohrs, die er nur vom Hörensagen kannte. Er forderte die Kreisleitung auf, „das Treiben dieses Herrn unter allen Umständen einzustellen“, da dieser Hetzer nicht würdig sei, das Amt eines Pfarrers zu bekleiden. Wenn nicht eingegriffen werde, seien tätliche Angriffe gegen Pfarrer Nohr unvermeidbar.

Überfall im Pfarrgarten
Am Donnerstag, den 2. April.1936 war es soweit. Gegen 20 Uhr erschienen am Pfarrhaus rund einhundert SA- und NS-Männer aus Obermohr und den Nachbardörfern. Etwa 30 bis 40 Männer stiegen über den Zaun des Pfarrgartens, hielten den aus dem Pfarrhaus eilenden Pfarrer fest, beschimpften ihn in gemeinster Weise als Saupaff, Lumpen, Kommunisten, Vaterlandsverräter, traten ihn mit Stiefeln zu Boden, schlugen ihm auf Kopf und Augen. Albert Schäfer, Lehrer und Dirigent des Gesangvereins Steinwenden, verlegte seine für diesen Abend angesagte Chorprobe kurzerhand zum Pfarrhaus in Obermohr. Er drang als einer der Ersten in den Pfarrgarten ein, feuerte in Dirigentenmanier die Sprechchöre mit Hetzparolen an und peitschte den Mob immer wieder zu weiteren Misshandlungen auf. Der protestantische Pfarrer Fippinger aus Steinwenden war ebenfalls mit von der Partie.

Ein Gendarm schritt ein
Die Gewaltorgie im Pfarrgarten dauerte etwa eine halbe Stunde. Dann schleppten SA-Männer den Pfarrer zum Garten hinaus auf die Straße in Richtung Steinwenden. Auf dem Weg dorthin wurde er weiterhin mit Schlägen und Fußtritten traktiert und mehrmals in den Straßengraben geworfen. Ein Gendarm aus Steinwenden schritt gegen die Misshandlung ein und brachte Pfarrer Nohr, von der johlenden Meute begleitet, ins Pfarrhaus nach Obermohr zurück. Gegen 22 Uhr wurde Pfarrer Nohr für eine Nacht im Gefängnis Landstuhl in Schutzhaft genommen und am nächsten Tag entlassen. Mit Schreiben vom 23. April 1936 an das Bischöfliche Ordinariat Speyer nennt die Gauleitung Saarpfalz die eigentlichen Gründe für den Überfall. Die Gauleitung wirft Pfarrer Nohr vor, dass er bereits vor der Machtübernahme die Kanzel und den Beichtstuhl in gehässiger Weise zur Agitation gegen den Nationalsozialismus benutzt habe und bis zum heutigen Tag jede sich bietende Gelegenheit nutze, um sein Missfallen über den nationalsozialistischen Staat zum Ausdruck zu bringen. Durch seine systematische und hetzerische Betätigung gegen den Führer und den nationalsozialistischen Staat habe er seit Jahren öffentliches Ärgernis erregt. Außerdem habe Pfarrer Nohr bei sämtlichen Wahlen nach der Machtergreifung niemals sein Wahlrecht ausgeübt. Pfarrer Nohr musste Obermohr sofort verlassen, wohnte abwechselnd in seiner Heimatgemeinde Oberwürzbach oder in Geinsheim bei einem befreundeten Pfarrer.
Die Katholiken von Obermohr und Steinwenden teilten in einem Schreiben vom 8. April 1936 dem Bischöflichen Ordinariat Speyer mit, dass sie mit dem nächtlichen Überfall auf ihren Herrn Pfarrer nicht einverstanden seien und diesen baldigst zurück haben wollen. Dem Schreiben sind mehrere Listen mit den Unterschriften von etwa 270 Katholiken aus Obermohr und Steinwenden beigefügt. Aus Obermohr sollen nur 28 Katholiken nicht unterschrieben haben.

Böse Folgen für die Nachbarin
Böse Folgen hatte der Überfall für Frau Elisabeth Müller, später verh. Weisenauer. Als Nachbarin von Pfarrer Nohr und seinen beiden Schwestern, mit denen sie in guter Beziehung stand, hat sie beim Überfall für diesen Partei ergriffen. Frau Müller besaß die Zivilcourage sich mit den SA-Schlägern anzulegen, machte ihnen Vorwürfe und verurteilte mit drastischen Worten deren brutales Vorgehen. Nach dem Überfall hat Elisabeth Müller an den NSDAP-Bürgermeister von Obermohr, Johann Clemens, der einer der Haupttäter war und von Pfarrer Nohr selbst als „eine ganz üble Marke“ bezeichnet wird, anonym einen geharnischten Brief geschrieben. Elisabeth Müller, die die Gewalttaten und Verbrechen der SA-Schlägertruppe in aller Öffentlichkeit aber auch in einem anonymen Brief angeprangert hat, wurde am 25. November 1936 vom Sondergericht in Frankenthal nach Paragraph 2 Abs. II des Heimtückegesetzes zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt. Zwei Monate verbüßte sie in Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis Kaiserslautern und vier Monate und sieben Tage in der Strafanstalt Frankenthal. Das Urteil des Sondergerichts in Frankenthal vom 25. November 1936 wurde am 11. Mai 1949 von der Strafkammer des Landgerichts Frankenthal aufgehoben.
Am 30. Oktober 1936 wurde Pfarrer Nohr von Bischof Ludwig Sebastian nach Obermohr zurückgebracht. Der Bischof ließ die Glocken läuten und erklärt vor den versammelten Katholiken feierlich, dass gegen Pfarrer Nohr kein Verschulden vorliege und dieser auf seinen bischöflichen Befehl hin zurückgekehrt sei.
Schon am nächsten Tag erschienen gegen Mittag Polizeipräsident von Hausen aus Kaiserslautern und Bezirksamtmann (Landrat) Franz Theato aus Landstuhl mit einer Abteilung Gestapobeamter im Pfarrhof und verlangten Pfarrer Nohr zu sprechen. Von Hausen teilte Pfarrer Nohr mit, dass er Obermohr sofort verlassen müsse und aus dem Bezirk Landstuhl abgeschoben werde. Sollte er sich widersetzen, würde er in Haft genommen. Von Hausen und Franz Theato brachten Pfarrer Nohr im Auto auf das Bezirksamt Landstuhl, wo sie Kreisleiter Jakob Knissel erwartete.
Hier wurden die von Hausen zuvor gestellten Forderungen schriftlich festgelegt: Pfarrer Nohr muss Obermohr verlassen, auf die Pfarrei Obermohr verzichten und erhält Aufenthaltsverbot für den Bezirk Landstuhl. Einwände seitens Nohr wurden abgelehnt. Um ihn zur Unterschrift zu zwingen, wurde ihm im Weigerungsfalle Gefängnis angedroht. Das Diktat wurde von Polizeipräsident von Hausen, Bezirksamtmann Franz Theato, Kreisleiter Jakob Knissel und – notgedrungen – von Pfarrer Nohr unterschrieben. Die versprochene Zweitschrift hat Nohr nie erhalten. Noch am gleichen Tag wurde er nach St. Ingbert gebracht. Nach einem Jahr Verbannung übertrug man ihm 1937 die Pfarrei Venningen.

Nach Ende des Krieges
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges schrieben von Hausen und Franz Theato weitschweifige Bittbriefe an Bischof Dr. Josef Wendel, um Unterstützung in ihren „Entnazifizierungsverfahren“ bei den französischen Besatzungsbehörden zu erhalten. In einem dieser Briefe erinnert Freiherr von Hausen Bischof Dr. Josef Wendel (Nachfolger von Bischof Sebastian) daran, dass in der Zeit der Kirchenverfolgung während der NS-Zeit deutsche Männer – er meint sich wohl selbst – und Frauen „Bekennermut und Handeln zeigten“ und dass es bitter sei, jetzt durch einen Mann (gemeint ist Pfarrer Nohr) angegriffen und diffamiert zu werden, dem man unter Hintansetzung seiner eigenen Interessen geschützt und gute Dienste erwiesen habe. Er (Hausen) habe den Mut und die Sicherheit eines reinen Herzens, auch heute noch für sein damaliges Tun (Verhaftung Nohrs) einzustehen. Diesen Mut zur Sachlichkeit und Gerechtigkeit, so von Hausen, sollte auch ein Mann haben (Nohr), der nicht ohne eigene Schuld in Bedrängnis geraten sei. Von Hausen und Theato erklärten, dass sie 1936 gegenüber Pfarrer Nohr so gehandelt hätten, um ihn zu schützen. Ihr Bestreben sei gewesen, Pfarrer Nohr dem Zugriff der Gestapo Kaiserslautern zu entziehen.

Aus „Tätern“ wurden „Beschützer“
So wären aus Tätern Beschützer geworden. Diese Sichtweise teilte Pfarrer Nohr ganz und gar nicht. Denn in einem Brief vom 29. April 1946 teilte er dem Bischöflichen Ordinariat Speyer mit, dass der frühere Bezirksamtmann Franz Theato ihn im Jahre 1935 in einem Brief an die „Regierung der Pfalz“ in Speyer „Staatsfeind“ genannt habe.
Aus einer Protokollniederschrift über die Vernehmung von Pfarrer Nohr vom 14. Juli 1948 im Bischöflichen Ordinariat in Speyer geht eindeutig hervor, dass sowohl der Oberlandesgerichtspräsident Dr. Ritterspacher als auch „die Herren von Speyer“ wünschten, dass die Angelegenheit mit Theato aus der Welt geschafft werden müsse. Das heißt, Pfarrer Nohr sollte seine Aussagen bezüglich Theato zurücknehmen. Pfarrer Nohr fühlte sich unter Druck gesetzt.
In einem ausführlichen Bericht an Bischof Dr. Josef Wendel vom 27. Oktober 1947 empört sich Pfarrer Nohr, der in Neustadt Einsicht in die Aktenlage bekommen hatte, über die dort in schriftlicher Form von Hausen vorgebrachten Behauptungen. Danach soll Pfarrer Nohr ohne Wissen von Bischof Ludwig Sebastian auf eigene Faust nach Obermohr zurückgekehrt sein und der Bischof sich für Nohrs Verhaftung quasi bei von Hausen bedankt haben. Für Pfarrer Nohr ist es kaum vorstellbar, dass Bischof Sebastian dem Polizeipräsidenten das Gegenteil von dem gesagt haben soll, was er ihm gesagt und vor den Katholiken in Obermohr verkündet hat.
Nach Nohrs Überzeugung belastet von Hausen Bischof Ludwig Sebastian und das Ordinariat. Er stellt es Bischof Dr. Josef Wendel anheim, zu den Ausführungen von Hausens, wie sie aus einer Beilage ersichtlich sind, der zuständigen Gerichtsstelle gegenüber Stellung zu nehmen.

Zwei Prozesse
1948 wurden zwei getrennte Prozesse geführt: einer gegen von Hausen/Theato und einer gegen die am Überfall vom 2. April 1936 in Obermohr Beteiligten. Am 4. Mai 1948 wurden in einem getrennten Verfahren August Heinrich von Hausen, Regierungsrat a.D., wohnhaft in Wiesbaden, und Franz Theato, Oberregierungsrat, wohnhaft in Speyer vom Oberstaatsanwalt beim Landgericht Zweibrücken in drei Punkten angeklagt. Beide sollen im Jahre 1936 in Obermohr, bzw. Landstuhl bei einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit mitgewirkt haben; vorsätzlich und widerrechtlich einen Menschen des Gebrauchs der persönlichen Freiheit beraubt haben und einen anderen rechtwidrig durch Drohung zu einer Handlung oder Unterlassung genötigt haben.
Von Hausen und Franz Theato gelang es, unterstützt von „Persilschein-Äußerungen“, das Gericht dahingehend zu überzeugen, dass sie 1936 gegenüber Pfarrer Nohr aus edlen Motiven gehandelt hätten, um ihn dem Zugriff der Gestapo zu entziehen. Die „entlastenden“ Beurteilungen, – ausgestellt von verschiedenen Personen, von dem mit dem Nationalsozialismus eng verbundenen protestantischen Bischof Ludwig Diehl bis zu einer katholischen Ordensfrau – werfen ein beschämendes Licht auf die nach dem Krieg geübte „Reinwaschungspraxis“.

Pfarrer Nohr war der Dumme
Von Hausen und Franz Theato bekamen Freisprüche. Pfarrer Nohr stand im wahrsten Sinn des Wortes als der Dumme da, musste sich vom Anwalt von Hausens als einen „der dümmsten Geistlichen der Diözese“ titulieren lassen.
Vom 16. bis 22. November 1948 wurde vor der Strafkammer Zweibrücken, die in Landstuhl tagte, der Überfall der SA auf Pfarrer Nohr in Obermohr vom 2. April 1936 behandelt. Pfarrer Nohr, der (als Zeuge) am Prozess teilnahm, berichtet darüber in einem Schreiben vom 23. November 1948 an Bischof Dr. Wendel. Danach wurde der protestantische Lehrer Albert Schäfer aus Steinwenden als Haupträdelsführer zu einem Jahr, ein Mann namens Müller aus Schrollbach zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt. Von den übrigen 31 Angeklagten erhielt etwa die Hälfte vier Monate Gefängnis, die restlichen wurden mangels Beweise freigesprochen. Alle Angeklagten erklärten sich nichtschuldig.
Der protestantische Pfarrer Fippinger aus Steinwenden saß ebenfalls auf der Anklagebank. Über ihn wurden bereits Verhandlungen noch unter Ludwig Sebastian mit der protestantischen Kirchenregierung geführt. Auf die Frage des Gerichts, ob Pfarrer Nohr Gewicht auf eine weitere Untersuchung in der Sache Pfarrer Fippinger lege, antwortete dieser, dass er kein Interesse habe, gegen einen Amtskollegen Klage zu führen. Tief betroffen von den Vorhaltungen, dass er selbst den Prozess angestrengt hätte, betone Pfarrer Nohr gegenüber Bischof Dr. Josef Wendel, der Prozess sei von den Gerichtsbehörden ausgegangen, er persönlich hätte die Sache auf sich beruhen lassen. Protest aber erhebt Pfarrer Nohr in seinem Brief an Bischof Wendel, „dass eine ganze Reihe Geistlicher unserer Diözese das Gerücht gegen mich verbreitet, ich hätte gegen Theato Klage gestellt“. Franz Theato (SPD) war von 1946 bis 1948 Landrat im Landkreis Ludwigshafen.

Am 1. August 1952 ging Pfarrer Nohr 65-jährig in den Ruhestand in Oberwürzbach. Dort ist er am 27. März 1956 gestorben und beerdigt.

Für den vorliegenden Artikel hat der Verfasser im Speyerer Diözesanarchiv, im Pfälzischen Landesarchiv recherchiert und Zeitzeugen befragt.



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