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Dahn im September 2014


Weder Patriotismus noch Tapferkeit haben sie vor Verfolgung und Ermordung bewahrt

Von Otmar Weber



Am 17. September, auf den Tag genau vor 100 Jahren, ist der jüdische Soldat Siegmund Kullmann, Rechtspraktikant und Unteroffizier der Reserve, als erster Dahner den Heldentod fürs Vaterland gestorben.
Von den 400.000 Deutschen, die sich während des Ersten Weltkrieges zum Judentum bekannten, haben etwa 120.000 jüdische Soldaten für Vaterland und Kaiser gekämpft, ca. 12.000 von ihnen starben auf den Schlachtfeldern, etwa 50.000 wurden verletzt und zum Teil verkrüppelt. 30.000 (36 %) jüdische Soldaten erhielten Tapferkeitsauszeichnungen.
Doch schon die sogenannte "Judenzählung“, die am 11. Oktober 1916 für das deutsche Heer angeordnet wurde, war eine Diskriminierung der jüdischen Frontsoldaten und ein Schlag ins Gesicht der deutschen Juden. In dem Erlass ging es zwar vordergründig, antijüdische Anfeindungen wie jüdische Drückebergerei und jüdischer Kriegswucher zu entkräften, doch insgeheim hoffte man, diese Vorwürfe bestätigt zu sehen. Die Ergebnisse der Erhebungen wurden bis Kriegsende geheim gehalten. Doch spätere Auswertungen bestätigten, dass Juden ihrem Anteil an der Bevölkerung gemäß an der Front eingesetzt waren, ihrem Anteil gemäß Gefallene aufwiesen und ihrem Anteil gemäß mit Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet worden waren. Bei den Freiwilligen lag ihr Einsatz prozentual über dem Gesamtdurchschnitt. Doch diese Zahlen konnten den Riss, der sich mit dem Erlass vom 11. Oktober 1916 aufgetan hatte, nicht mehr beseitigen. Mit der Judenzählung war der Antisemitismus staatlich legitimiert worden.

Die oben genannten Ergebnisse der späteren Auswertungen sind auch für die jüdischen Soldaten aus den Wasgaudörfer signifikant. Aus dem Wasgau sind mindesten 10 jüdische Soldaten fürs Vaterland gestorben. Ebenso viele wurden mit dem EK (Eisernes Kreuz = Tapferkeitsmedaille) ausgezeichnet. Zwei jüdische Soldaten sind auf dem jüdischen Friedhof Busenberg beerdigt.
Die Namen dreier jüdischer Soldaten sind auf dem Gefallenendenkmal in Dahn (Stadtmitte), auf der Busenberger Gedenktafel (Aufgang zur Kirche) ist ein jüdischer Gefallener verzeichnet. In Erlenbach sind auf der noch erhaltenen Ehrentafel 8 jüdische Weltkriegsteilnehmer mit Foto aufgeführt, einer davon ist gefallen. Sie wurden damals Patrioten und Helden genannt.
Auf dem jüdischen Friedhof Busenberg ist auf dem Grabstein 13 in der Grabreihe 6 zu lesen, dass Siegmund Kullmann, Rechtspraktikant und Unteroffizier der Reserve, am 17. September 1914 den Heldentod fürs Vaterland gestorben ist. Der Text steht auf der linken Hälfte des Grabsteins. Die rechte Hälfte des Grabsteins, die für seinen Vater, Josef Kullmann, vorgesehen war, blieb leer. Dieser wurde 1942 im Alter von 89 Jahren nach Theresienstadt deportiert, wo er noch im gleichen Jahr umgekommen ist. Sein Sohn Siegmund Kullmann befand sich vor Kriegsbeginn 1914 in den USA. Als er von der Kriegsgefahr und der Not seines Vaterlandes erfuhr, schrieb er seinem Vater auf Pfälzisch: „Babbe, ich kum sofort häm, um em Kaiser sieche zu helfe“. Er erreichte mit dem letzten Schiff Deutschland, meldete sich freiwillig und ist als einer der ersten Dahner gefallen.

Die Gebrüder Julius und Ludwig Levy, Weißenburgerstraße 2, waren beide für Tapferkeit vorm Feind mit dem EK II ausgezeichnet worden. Julius Levy war Soldat an der Ostfront (Galizien) und Ludwig Levy an der Westfront (Somme). In der Reichspogromnacht 1938, die in Dahn erst am 10. November um 17.00 Uhr nachmittags begann, wurde mit besonderer Brutalität das Levyhaus in der Weißenburgerstraße 2 gestürmt. Bevor Ludwig Levy den wütenden Tätern entgegentrat, steckte er sich das EK II an in dem Glauben, dass die Täter einen Patrioten und verdienten Weltkriegsveteranen schonen würden. Als er in der Haustüre erschien, schlug ihn ein Rowdy mehrmals ins Gesicht und riss ihm die Tapferkeitsmedaille ab.
Ludwig Levy, der zeitlebens mit dem Kopf schüttelte, musste deswegen so manchen Spott ertragen. Was die Spötter nicht wussten, dass er sich dieses Leiden an der Westfront (Somme) zugezogen hat, wo er mehrere Stunden in einem Schützengraben verschüttet lag. Sein Bruder, Julius Levy, während der NS-Zeit von seiner Frau und Familie gedrängt, Deutschland zu verlassen, pflegte zu antworten: „Die Hitler kommen, die Hitler gehen. Ich war deutscher Soldat und habe das EK II, uns machen die nichts“. Ein tödlicher Irrtum! Julius Levy, seine Frau Elsa, sein Sohn Helmut, sein Bruder Ludwig, seine Schwester Blüta und seine Schwägerin Helene wurden deportiert und umgebracht. Während des Heimattreffens 1991 hat Tochter Gertrud ihren Vater Julius als „zu deutsch“ (patriotisch) bezeichnet, der die Gefahr nicht wahr haben wollte, bis er sie zu spät erkannte.
Die beiden Levybrüder, Heiner und Albert, Grabenstraße 11, haben sich bei Kriegsausbruch 1914 sofort als Freiwillige beim Heer gemeldet. Albert ist 1917 gefallen. Heiner ist im Jahre 1929 nach Straßburg gezogen. Nach Angaben einer Verwandten ist er 1940 in der Fremdenlegion gestorben. Sein Bruder Paul in New York behauptet, dass Heiner deportiert wurde und als verschollen gilt.
Sigmund Rosenstiel, Marktstraße 24, wurde in Pirmasens gemustert und war von April 1915 bis November 1918 als Krankenwärter im Feldlazarett tätig. Er gehörte dem 2. Trainbataillon in Würzburg an. Nach dem verlorenen Krieg sind 1919 französische Besatzungstruppen auch in Dahn eingerückt. Ihre Feldküche stand in der Autogarage von Sigmund Rosenstiel. Bei der Essensausgabe an die Soldaten war die Küche von hungrigen Kindern umringt, die den einen oder anderen Bissen aus der guten französischen Küche bekommen haben. Dahner Frauen holten den Kaffeesatz vom Bohnenkaffee ab, um ihn zuhause nochmals aufzubrühen. Auf perfides Betreiben des damalige NSDAP-Ortsgruppenleiter Karl Zimmer wurde Sigmund Rosenstiel 1937 nach dem so genannten „Heimtückegesetz“ in „Schutzhaft“ genommen und zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt, die er im Gefängnis Frankenthal verbüßte. Er wurde wegen schwerer Krankheit vorzeitig entlassen und ist am13.05.1938 in Schweinfurt bei seiner Tochter, Meta Serrand, gestorben.
In seiner Ausgabe vom 10. November 1934 berichtet das „Pfälzische Tageblatt“ ausführlich über das pompöse Einweihungsprogramm für die am kommenden Sonntag (11. November 1934) in Dahn stattfindende Denkmalweihe. In dem Text heißt es, dass Dahn mit dem Ehrenmal die im Weltkrieg auf dem Feld der Ehre gefallenen Söhne dem bleibenden Gedächtnis der Nachwelt einprägt. Dies hat offenbar nicht für die drei jüdischen Gefallenen (Sigmund Kullmann, Albert Levy und Bernhard Levy) gegolten. Denn ihre Namen wurden nicht lange auf dem Denkmal geduldet und nach kurzer Zeit herausgeschlagen. Das Denkmal wurde, um im Duktus der Nazis zu bleiben, „entjudet“. Erst in den 1960er Jahren wurden ihre Namen wieder eingefügt.

Über 200 Jahre haben Juden im Wasgau das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben mitgestaltet und Verdienste erworben. Sie stellten Gemeinderäte, waren in den örtlichen Vereinen engagiert und auch als Sponsoren tätig. So hat Siegmund Rosenstiel, Marktstraße 24, großzügig den Dahner Fußballverein unterstützt. Die Gebrüder Josef & Julius Katz, Marktstraße 14-16, haben das Eisenmaterial für das Kreuz auf dem Dahner Jungfernsprung gestiftet. Es gab ein friedliches Nebeneinander. Genützt hat es nichts. Weder Verdienstkreuze noch Patriotismus haben die jüdischen Weltkriegsteilnehmer vor Deportation und Vernichtung bewahrt.


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