Arbeitskreis Judentum im Wasgau · 66994 Dahn otmar_weber@gmx.de

Dahn im Mai 2016


Das Schicksal des Kurt/Claude Levy aus Busenberg

Von Otmar Weber



Kurt Levy, geboren am 16.07.1930 in Busenberg, war der Sohn des Viehhändlers Leo Issak Levy (geboren am 12.05. 1900) aus Busenberg, wohnhaft in der Kirchstraße 4, und dessen Ehefrau Carola Meta, geborene Löb. Seine Mutter war am 13.10. 1904 in Schifferstadt geboren worden und hatte am 09.03. 1928 Leo Isaak geheiratet. Das Paar bekam am 27.09.1935 noch die Tochter Hannah Barbara, genannt Hannele.
Am 01.10.1938 verließ Familie Leo Levy, gezwungen durch die Nazis, Busenberg. Kurt zog mit seinen Eltern, seiner Schwester und Oma Rosa Levy, geborene Schwarz, nach Schifferstadt, Bahnhofstraße 48, dem Heimatort seiner Mutter. Fünf Wochen nach ihrer Ankunft erlebten sie in Schifferstadt die „Reichskristallnacht“. Ihre Möbel, die sie aus Busenberg mitgebracht und in der Synagoge deponiert hatten, dienten als Zündmaterial für den Synagogenbrand. Leo Levy wurde verhaftet und in das KZ Dachau gebracht.
Am 09.02.1939 emigrierte Kurt von Schifferstadt ins elsässische Weißenburg zu seinem Großonkel Julius Schwarz. Hier bekam Kurt von Emmy Schwarz, seiner „zweiten Mutter“, den Namen Claude, den er bis heute trägt. Emmy Schwarz, Tochter von Julius Schwarz, war Zahnärztin in Karlsruhe und später in Limoges/Frankreich, wo sie nach dem Kriege geblieben ist.
Zu Beginn des Krieges wurde die Weißenburger Bevölkerung ins Zentralmassiv in die Gegend von Limoges/Frankreich evakuiert. Auch Kurt kam mit der Familie seines Großonkels dort hin. Als 1942 die deutschen Truppen auch das von Vichy aus verwaltete sogenannte „freie Frankreich“ besetzten und im Dezember in Limoges einrückten, mussten sich auch hier die Juden verstecken. Kurt hauste in Limoges auf einem Speicher. Um ihn vor den Deutschen zu schützen, erhielt er eine neue Identität mit gefälschten Personalpapieren, die ihn als „Claude Leroy aus Algier“ auswiesen. Claude fand während des Krieges in einem Schülerpensionat in St. Leonhard bei Limoges Unterschlupf. Nach dem Krieg besuchte er ein Schülerpensionat in Grenoble.

Am 22.10.1940 wurden seine Eltern, seine Schwester Hannah Barbara und seine Großmutter Rosa von Schifferstadt nach Südfrankreich in das Lager Gurs deportiert. Auf dem Transport nach Gurs schrieb Carola Levy ihrem Sohn Kurt: „Wir sind auf der Reise nach Amerika“. Sie war tatsächlich der Meinung oder mehr der Hoffnung, dass sie in die USA abgeschoben würden. Von Limoges aus schickten Claude und seine Verwandten Päckchen zu den Eltern in das Lager Gurs. Claude konnte seine Eltern zwei Mal im Camp Gurs besuchen, zuerst zwischen Weihnachten und Neujahr 1940/1941 und dann im Sommer 1941. Kurz nach dem Besuch wurden die Eltern in das Sammellager Rivesaltes bei Perpignan verschoben, wo sie bis zur weiteren Deportation am 23.09.1942 verblieben.
Oma Rosa wurde 1941 ebenfalls in das Lager Rivesaltes gebracht; von hier aus kam die über 70-jährige in das Lager Noé (Haute-Garonne) es war ein Lager für ältere Personen; später wurde sie in das Lager Nexon im Arrondissement Limoges verschoben, wo sie das Kriegsende erlebte. Nach der Befreiung ging sie zu ihren Verwanden nach Limoges und wanderte 1946 in die USA aus. Claudes Schwester Hannah Barbara war bis zum 10.03.1941 im Lager Gurs und anschließend bei einer Familie in Montpellier. Danach fand sie bei einer Familie in Limoges Unterschlupf und wurde später zu ihrer Sicherheit in einem Kloster bei einer Kindergruppe versteckt. Die französische Organisation Œuvre de secours aux enfants (OSE) rettete Hannah 1941 durch einen abenteuerlichen Transport über Spanien nach Palästina. In Palästina wuchs sie bei einer russisch-jüdischen Immigrantenfamilie namens Levi auf. Hier erhielt sie den Namen Chana.

Im September 1942 wollte Claude mit Großonkel Julius Schwarz seine Eltern im Camp Rivesaltes besuchen; sie unterließen jedoch die Fahrt, nachdem sie gehört hatten, dass die Juden aus diesem Lager deportiert werden. Dadurch sind beide möglicherweise der Deportation entgangen.
Am 13.09.1942 wurden Leo und Carola Levy vom Lager Rivesaltes in das Durchgangslager Drancy bei Paris gebracht. Ein Rabbiner aus Straßburg, der wie alle Elsässer Juden in die Region um Limoges gebracht worden war, konnte noch mit Leo und Carola sprechen, bevor der Zug nach Drancy weiterfuhr. Am 16.09.1942 wurden Leo und Carola Levy mit dem Transport Nr. 33 im Zug D 901/28 um 08.55 Uhr ab Drancy/Paris nach Auschwitz deportiert. Carola Levy ist 1942 in Auschwitz umgekommen. Leo Levy, wurde in Cosel (bei Auschwitz) zusammen mit weiteren 300 arbeitstauglichen Männern zum Arbeitseinsatz ausgesondert und auf einem LKW nach St. Annaberg gebracht. Er war in Auschwitz III als Arbeitssklave eingesetzt.
Leo Levy hat aus Auschwitz mehrere Postkarten an Familie Sturm, seine Nachbarn in Schifferstadt, geschrieben und um Geld und Lebensmittel gebeten. Im Juni 1944 kam die letzte Karte von Leo Levy aus Heydebreck in Oberschlesien an. Darin bat Leo um ein Päckchen mit Lebensmitteln und etwas Geld; er teilte mit, dass er seit eineinhalb Jahren seine Frau nicht mehr gesehen habe. In Heydebreck/Oberschlesien hatte die „Badische Anilin & Sodafabrik“ (IG-Farben) Produktionsstätten, in denen Auschwitzhäftlinge beschäftigt waren. Danach kam kein Lebenszeichen mehr. Leo Levy gilt als verschollen.
Sein Sohn Claude Levy hat von 1945 bis 1949 in Grenoble eine Internatsschule besucht. Von 1950 bis 1952 absolvierte er seine Militärzeit als französischer Soldat in Wittlich. Während dieser Zeit hat Claude sowohl Schifferstadt als auch sein Elternhaus in Busenberg, Kirchstraße 4, für einen Tag besucht. Damals bekam Claude von Familie Sturm in Schifferstadt Briefe und Karten ausgehändigt, die sein Vater bis Mitte 1944 aus dem KZ Auschwitz geschrieben hatte.

Im Jahre 1952 ging Claude nach Weißenburg und von da nach Paris. 1957 traf er sich in Paris erstmals mit seiner Schwester Hannele/Chana aus Israel. Zwischen beiden herrschte Sprachlosigkeit: Hannele sprach nur Ivrit, das moderne Hebräisch, auch etwas Englisch, und hatte keine Erinnerungen mehr an ihre Kindheit in Busenberg und Schifferstadt. An ihre Mutter konnte sie sich nur noch vage erinnern. Claude sprach Französisch. Seine Frau Simone versuchte das Gespräch mit Chana in Englisch. Eine echte sprachliche Verständigung glückte aber nicht, da ein Übersetzer, der Ivrit beherrschte, fehlte. Damals besuchte Claude mit Chana auch Schifferstadt. Durch die schrecklichen Erlebnisse während der NS-Zeit und durch die verschiedenen Lebensläufe der Geschwister gestaltete sich der Kontakt schwierig.
Chana hat in Israel geheiratet und bekam zwei Kinder. Sie starb 1997 mit 62 Jahren. Claude zog 1952 nach Paris und arbeitete bis zu seiner Pensionierung bei der Autofirma Renault. Am 12.12.1953 heiratete Claude in Paris seine Frau Simone, am 27.10.1932 in Weißenburg als Simone Levy geboren. Am 02.09.1961 wurde ihre Tochter Catrine Carola in Paris geboren. Am 12.12.1994, ihrem 41. Hochzeitstag, ist Simone Levy in Paris gestorben. Sie ist auf dem jüdischen Friedhof in Weißenburg beerdigt, wo auch Claude einmal neben seiner Frau seine letzte Ruhestätte haben wird.

Der Bericht basiert im Wesentlichen auf Interviews, die der Verfasser mit Claude Levy in der Zeit von 2002 bis 2012 geführt hat und auf Recherchen von Dr. Emil Georg Sold, Schifferstadt.


© Arbeitskreis Judentum im Wasgau, Otmar Weber, Schillerstrasse 10b, 66994 Dahn