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Der Artikel wurde am 27.01.2020 veröffentlicht.



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Arbeitskreis Judentum im Wasgau



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Gedenktag am 27. Januar – deportiert, versklavt, vergast

Von Otmar Weber


Am 27. Januar 2020 jährt sich zum 75. Mal die Befreiung des Vernichtungszentrums Auschwitz durch die Rote Armee. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog hat 1996 den 27. Januar zum offiziellen deutschen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Die Vereinten Nationen folgten im Jahr 2005 und erklärten den 27. Januar zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

Trotz großen Aufwandes durch Politik und Medien ist der 27. Januar bis heute weithin ein unbekannter Gedenktag. An diesem Tag soll aller Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft gedacht werden.
Für die in den Osten deportierten Juden, die im Wasgau geboren sind oder gewohnt haben, kamen die Befreier zu spät. Keiner von ihnen hat in den Vernichtungslagern überlebt. Am jüdischen Friedhof in Busenberg sind die Namen von 68 Holocaustopfern aus dem Wasgau, mit Geburtsjahr, Todesjahr und Ort der Vernichtung auf einer Gedenktafel verzeichnet.
Von den bisher bekannten Opfern kamen 24 aus Busenberg, 28 aus Dahn, 6 aus Erlenbach, 9 aus Hauenstein und ein Opfer aus Vorderweidenthal.
Alle diese Opfer haben bis zu ihrer Vernichtung unvorstellbares Elend erleiden müssen.
Beispielhaft soll dies an den Schicksalen von Helmut Levy aus Dahn und Leo Levy aus Busenberg dargestellt werden.

Helmut Levy, geb. am 03.05.1925, der jüngste Sohn von Julius und Elsa Levy, wohnhaft in Dahn, Weißenburgerstraße 2, hat 1938 mit seiner Familie die Reichspogromnacht in Dahn erlebt und wurde anlässlich der Räumung der Roten Zone am 01.09.1939 nach Mannheim evakuiert. Am 22.10.1940 wurde in das Camp Gurs in Südwestfrankreich deportiert. Von dort verbrachte man ihn 1941 mit seiner Familie in das Camp Rivesaltes nach Südfrankreich. Als Sechzehnjähriger leistete Zwangsarbeit beim Straßenbau in Brest und weiteren Orten in Frankreich. Von einem bisher nicht bekannten Ort wurde er im August 1942 in das Durchgangslager Drancy bei Paris überführt, von dort am 07.09.1942 mit dem Transport Nr. 29 nach Auschwitz deportiert und zur Zwangsarbeit eingesetzt. Der Transport umfasste 435 Frauen und 565 Männer. Unter den Deportierten waren über 120 Jugendliche.
Vor der Ankunft des Transportes am 09.09.1942 wurde in Cosel bei Auschwitz eine unbestimmte Anzahl von Männern zur Zwangsarbeit selektiert. In Auschwitz selbst wurden 59 Männer und 52 Frauen aus dem Transport 29 zur Zwangsarbeit bestimmt. Helmut Levy gehörte dazu. Der Rest des Transportes wurde sofort ins Gas geschickt. Aus dem Transport Nr. 29 sind namentlich nur 34 Männer bekannt, die Auschwitz überlebt haben. Helmut Levy aus Dahn gehörte nicht zu ihnen. Bevor die sowjetischen Befreier am 27. Januar in Auschwitz eintrafen, hatte die SS das Vernichtungslager Auschwitz geräumt und die restlichen Häftlinge im Januar/Februar 1945 in die berüchtigten "Todesmärsche" durch Eis und Schnee nach Westen auf Reichsgebiet getrieben. Helmut Levy kam in das KZ Buchenwald, wo er verschollen ist. Ein Mitgefangener, der Todesmarsch und KZ Buchenwald überlebt hat, ist nach seiner Befreiung nach Canada ausgewandert. Er hat in den 1990er Jahren bestätigt, dass Helmut Levy wenige Tage vor der Befreiung des KZs Buchenwald durch englische Soldaten noch gelebt hat. Das vermutete Todesdatum von Helmut Levy ist der 23. Februar 1945.
Julius Levy, Helmuts Vater, hat in einem seiner letzten Briefe vor seiner Deportation nach Ausschwitz aus dem Camp Rivesaltes seinem Sohn Karl-Heinz, der nach London emigriert war, mitgeteilt, dass sein Bruder Helmut wieder zu einem Arbeitseinsatz abgeholt wurde. Ihm selbst war der Einsatzort unbekannt. Dass uns der Name dieses Ortes inzwischen bekannt ist, haben wir der Aufmerksamkeit einer Dahner Familie zu verdanken, die während ihres Urlaubs im Jahre 2006 in der Stadt Rosans in Frankreich eine Gedenktafel für jüdische Opfer entdeckte. Darauf der Name: LEVY, HELMUT, 3.4.1925 DAHN.
Die Tafel wurde zum Gedenken an 25 junge ausländische Juden errichtet, die am 26. August 1942 von der Polizei der französischen Vichy-Regierung an die deutschen Besatzer ausgeliefert und in Vernichtungslager deportiert wurden. Helmut Levy wurde zusammen mit 32 weiteren ausländischen Juden am 25.08.1942 auf Anweisung des Präfekten des Departement Hautes-Alpes verhaftet, und im Zentrum von Lastic-Rosans untergebracht. Am 26.08.1942 wurden die 33 Gefangenen unter Polizeibewachung in das Camp les Milles (Bouchers-du-Rhône) überführt und von hier aus über Drancy nach Auschwitz deportiert. Vgl. (jewishtraces.org/le-centre-daccueil-du-lastic)
Helmuts Eltern Julius und Elsa Levy, sein Onkel Ludwig, die Tanten Meta Levy und Helene Rosenstiel, wurden 1942 über Drancy nach Auschwitz deportiert, wo sie umgekommen sind. In der Weißenburgerstraße 2 erinnern seit 2006 sechs Stolpersteine an die Opfer.

Leo Isaak Levy, geboren am 12.05.1900 in Busenberg, Kirchstraße 4, verheiratet mit Carola Meta, geborene Löb aus Schifferstadt, war Viehhändler und besaß eine kleine Landwirtschaft. Am 01.10.1938 verzog er mit seiner Familie zu seinen Schwiegereltern nach Schifferstadt, Bahnhofstraße 48 (Synagoge). Fünf Wochen nach ihrer Ankunft erlebten sie dort die Reichspogromnacht. Ihre mitgebrachten Möbel, die sie in der Synagoge deponiert hatten, wurden als Zündmaterial für den Synagogenbrand genutzt. Leo kam zunächst ins KZ Dachau. Am 22.10.1940 wurde er mit seiner Frau Carola Meta, Tochter Hannah Barbara und Mutter Rosa, von Schifferstadt in das Camp Gurs deportiert. Sohn Kurt war zuvor einem Onkel in Weißenburg zur Pflege anvertraut worden und erhielt dort den Namen Claude. Während der deutschen Besatzungszeit lebte Claude, an verschiedenen Orten versteckt, in der Stadt Limoges. Zwei Mal besuchte er mit dem Onkel seine Eltern im Camp Gurs.
Am 13.09.1942 wurde das Ehepaar Levy vom Camp Rivesaltes in das Durchgangslager Drancy gebracht. Ein Rabbiner aus Straßburg, der wie alle Elsässer Juden in die Region um Limoges gebracht worden war, konnte noch mit ihnen sprechen, bevor der Zug nach Drancy weiterfuhr. Am 16.09.1942 wurden Leo und Carola Meta mit dem Transport Nr. 33 von Drancy nach Auschwitz deportiert. Carola Meta Levy ist 1942 in Auschwitz umgekommen. Leo wurde in Cosel (bei Auschwitz) zusammen mit weiteren 300 arbeitstauglichen Männern zum Arbeitseinsatz ausgesondert und in St. Annaberg als Arbeitssklave eingesetzt.
Leo hat aus Auschwitz mehrere Postkarten an seine Nachbarn, Familie Sturm in Schifferstadt, geschrieben und um Geld und Lebensmittel gebeten. Im Juni 1944 hat Familie Sturm die letzte Karte von Leo aus Heydebreck in Oberschlesien erhalten. Darin bat er um ein Päckchen mit Lebensmitteln und etwas Geld; er teilte mit, dass er seit eineinhalb Jahren seine Frau nicht mehr gesehen habe. Danach kam kein Lebenszeichen mehr. Leo Levy gilt als verschollen. In Heydebreck hatte die „Badische Anilin & Sodafabrik“ (IG-Farben) Produktionsstätten, in denen Auschwitzhäftlinge beschäftigt waren.
Leos Mutter Rosa überlebte. Tochter Hannah Barbara war bis zum 10.03.1941 im Camp Gurs und anschließend bei einer Familie in Montpellier. Danach kam sie zu einer Familie in Limoges. Später wurde sie zu ihrer Sicherheit in einem Kloster versteckt. Eine französische Hilfsorganisation (O.S.E.) hat ihr zur Flucht verholfen. Im Jahre 1941 gelangte sie durch einen abenteuerlichen Transport über Spanien nach Palästina zu einer russisch-jüdischen Immigrantenfamilie. Hier erhielt sie den Namen Chana.
Familie Sturm hat Leos Postkarten aufbewahrt und nach dem Krieg bei einem Besuch in Schifferstadt an Sohn Claude übergeben. Claude, der in Paris lebt, hat regelmäßig sein geliebtes Weißenburg besucht und von dort Abstecher nach Dahn und Busenberg gemacht.
Claude Levy ist der letzte noch lebende Jude, der im Wasgau geboren ist, er wird in diesem Jahr 90 Jahre alt. Sein Wunsch ist es, einst neben seiner Frau, die auf dem jüdischen Friedhof Weißenburg beerdigt ist, seine letzte Ruhestätte zu finden.
Es ist erschreckend und unbegreiflich, dass 75 Jahre nach der Vernichtung von 6 Millionen europäischen Juden in Teilen unserer Bevölkerung Rassismus und Antisemitismus wieder an Akzeptanz gewinnen. (Fotos dazu vorhanden)

Der Bericht basiert im Wesentlichen auf Interviews, die der Verfasser mit Claude Levy in der Zeit von 2000 bis 2012 geführt hat und auf Recherchen von Dr. Emil Georg Sold, Schifferstadt

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